Die Strukturen des Waldbesitzes unterliegen einem allmählichen, aber stetigen Wandel, insbesondere bei den Kleinprivatwaldbesitzenden mit Waldflächen unter 20 Hektar. Dies führt zu einer Erhöhung von Waldeigentümer:innen ohne einschlägige forstwirtschaftliche Kenntnisse (Neitzel, 2018). Eine adäquate und fachlich fundierte Pflege und Bewirtschaftung des Waldes sind jedoch notwendig, um in Zukunft resiliente Wälder zu haben, die den Anforderungen des Klimawandels gerecht werden und die weiterhin als CO2-Senke dienen können. Das Ziel des FNR-Verbundprojekts Virtual Reality Forestry Training (VR_FT) sind Verbesserung und Ergänzung von Weiterbildungsmöglichkeiten für Kleinprivatwaldbesitzende durch Digitale Angebote, in unserem Fall durch den Einsatz von Virtual Reality. Nach Abschluss des Projektes stehen Waldbesitzenden und forstlichen Beratenden flexibel einsetzbare Weiterbildungs- bzw. Informationsmöglichkeiten in Form eines virtuellen Lehr- und Lernformates zur Verfügung.
Was genau geschieht im Projekt? Mittels 360°-Panoramaaufnahmen werden hochauflösende Bilder realer Waldumgebungen für die VR-Simulation erzeugt und durch didaktische Elemente ergänzt. Zudem wird es ein sog. Authoring-Tool geben, mit dessen Unterstützung Lehrende oder forstliche Berater:innen, ohne weitere Zuhilfenahme von IT-Experten, Informations- und Lehrszenarien in einer VR-Umgebung selbstständig erstellen und vorhandene Informationsangebote anpassen können. Eine webbasierte Schnittstelle ermöglicht die Modifikation von Texten, Bildern und weiteren didaktischen Elementen.
Neben dem Kuratorium für Waldarbeit und Forsttechnik e.V. (KWF e.V.) sind die Didactic Innovations GmbH aus Saarbrücken und das Fachgebiet für Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik (IMWI) der Universität Osnabrück beteiligt. Letzteres forscht seit langem im Bereich der beruflichen Bildung zur Wissensvermittlung, fokussiert auf virtuelle und erweiterte Realitäten im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus, u.a. für Landmaschinentechnik. Das IMWI ist im Projekt für Entwicklung und Programmierung der VR-Umgebung zuständig. Didactic Innovations GmbH unterstützt das Projekt bei der Entwicklung und Programmierung des Authoring-Tools.
Virtual Reality ermöglicht es den Nutzenden – wie der Name sagt – in virtuelle Simulationen einzutauchen. Das Besondere dabei ist der hohe Grad der Immersion, der mit VR erreicht werden kann. Unter Immersion versteht man das Eintauchen in eine Umgebung, in der man sich nicht ‚in echt‘ sondern – wie in unserem Projekt – virtuell befindet. Gleichzeitig eröffnet VR die Möglichkeiten, unbegrenzte Lehr- und Lernumgebungen zu gestalten, die orts- und zeitunabhängig zur Verfügung zu stehen. Die zunehmende Verbreitung von autarken VR-Brillen, die die gesamte Technik direkt in der Brille haben und während der Nutzung nicht per Kabel an einem PC oder Smartphone angeschlossen sein müssen, beschleunigt die Entwicklung der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Autarke VR-Brillen bieten das Potenzial, sich nicht nur in der Forstwirtschaft, sondern branchenübergreifend als ideales ergänzendes Lehr- und Lernmedium zu etablieren.
Um die Zielgruppe hinsichtlich der demographischen Struktur, des Waldbesitzes, der Interessensgebiete und des Kenntnisstands zu E-Learning und dem Einsatz von VR besser kennenzulernen, führte das KWF e.V. – unterstützt von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und dem Hessischen Waldbesitzerverband – eine Umfrage durch, die den Qualifikationsbedarf und den aktuellen Wissensstand von Kleinprivatwaldbesitzenden ermitteln sollte. Auf Basis der Umfrageergebnisse wurde zunächst ein zielgruppenorientiertes und bedarfsgerechtes Virtual Reality Lehr- und Lernsystem für Kleinprivatwalbesitzende mit wenig forstlichem Fachwissen entwickelt und gestaltet.
Die am häufigsten genannten Interessensgebiete der befragten Waldbesitzenden waren klassische und klimaangepasste Baumarten, Forstschutz, Wald als CO2-Senke, Wiederbewaldung/Pflanzung und Bestandessverjüngung. Die aktuelle Situation in unseren Wäldern legte es nahe, für den ersten Prototypen der VR-Umgebung das Thema Wiederbewaldung/Pflanzung zu wählen. Während die Kleinprivatwaldbesitzenden virtuell auf einer Pflanzfläche stehen, können sie anhand von anklickbaren Videos und Podcasts viel Wissenswertes über das Thema Pflanzung erfahren (Abb. 2).
Die Befragung, die das KWF durchführte, war Teil der allgemeinen Anforderungserhebung, die durch leitfadengestützte Experteninterviews ergänzt wurde. Beide zusammen dienten der gemeinsamen Konkretisierung der technischen, fachlichen und didaktischen Anforderungen an das gesamte VR-FT-System. Auf Basis der thematischen Schwerpunkte wurden für die Experteninterviews Personen mit forstwirtschaftlichem Hintergrund und Erfahrungen im Bildungsbereich oder Personen mit Kontakt zu Kleinprivatwaldbesitzern als Experten ausgesucht. Der Befragungsfokus war die Perspektive ‚lernende Waldbesitzenden‘.
Das Experteninterview, das von der Universität Osnabrück in Zusammenarbeit mit dem KWF e.V. entwickelt wurde, umfasst drei Themenkomplexe:
- Erfahrungen und Bereitschaft hinsichtlich des Einsatzes von Virtual Reality als Lehrtool
- Erfahrungen und Einsatz hinsichtlich E-Learning im forstwirtschaftlichen Lehrkontext
- Mögliche bzw. aktuelle Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Kleinprivatwaldbesitzende und ihre thematischen Schwerpunkte, sowie Weiterentwicklung des Lehrangebots in der Zukunft
Die Experten-Interviews wurden in zwei Phasen durchgeführt. Die erste Phase diente der allgemeinen Sammlung von relevanten Informationen und wurde zur Entwicklung eines digitalen Entwurfs für die VR-Anwendung, eines sogenannten Mockups, sowohl für die Lehr- als auch die Lernumgebung, genutzt. In der zweiten Phase der Interviews wurden die Fragen im Leitfaden spezifiziert und mit Fragen zum Design, einer Vorstellung des Mockups und anschließender offener Diskussion ergänzt.
Virtual Reality war den meisten befragten Expert:innen bekannt. Einige von ihnen konnten erste Erfahrungen mit VR sowohl im beruflichen Kontext, als auch im privaten Umfeld sammeln. Grundsätzlich zeigten alle Befragten eine Bereitschaft, das Virtual Reality Lehr- und Lernsystem als ergänzendes Tool einzusetzen. Bedenken wurden hinsichtlich fehlender Ausrüstung, zusätzlicher Anschaffungskosten und fehlender Zeit, sich mit diesem neuen Medium ausreichend auseinander zu setzen, geäußert.
Die Mehrheit der befragten Experten sah das VR-Tool – wie projektmäßig beabsichtigt – als Ergänzung zu bereits bestehenden Informations- und Bildungsangeboten an. Beim Einsatz des VR-Tools sei es wichtig, dieses in den bestehenden Lehrkontext einzubetten, um sicherzustellen, dass neben der Theorie auch praktische Fähigkeiten vermittelt werden. Informationen aus dem VR-Lernerlebnis werden durch die Kombination mit praktischer Lernerfahrung zudem nachhaltiger verankert. Eine VR-App könne als Motivation für Kleinprivatwaldbesitzende dienen, sich mehr mit forstwirtschaftlichen Themen auseinanderzusetzten und sich Basiswissen anzueignen.
Inhaltlich war vielen Experten an erster Stelle die Vermittlung von Wissen wichtig, das zu einem systemisch-ökologischen Verständnisses führt, gefolgt vom Umgang mit Kalamitäten. Häufig wurde der Wunsch genannt, Waldbesitzenden Ansprechpersonen vor Ort aufzuzeigen, die sie bei Problemen und Anliegen (z.B. Förderung) unterstützen können. Regionale Besonderheiten sollen nach Aussage der Expert:innen durch verschiedene 3D-Waldbilder auf unterschiedlichen Standorten berücksichtigt werden. Dies würde eine individuelle Nutzung des VR-Tools ermöglichen.
Was die Nutzung des VR-Tools angeht, vermuten viele Expert:innen vor allem die jüngere Generation als Zielgruppe. Für Waldbesitzende mit wenig Technikaffinität wirke die Nutzung einer VR-Brille möglicherweise befremdlich und es existiere vermutlich eine höhere Hemmschwelle, neue Technologien auszuprobieren. Die Umfrage unter den Waldbesitzenden, an der viele ‚ältere‘ teilnahmen und sich hinsichtlich ihrer Bereitschaft äußerten, VR einzusetzen, konnte dies Vermutung nicht bestätigen.
Im Juli 2022 wurde das Projekt einschließlich eines Prototyps des VR-Lehr- und Lerntools erstmalig auf der Interforst in München vorgestellt. Die Besucher:innen konnten einen Einblick in die erste virtuelle Umgebung zum Thema Pflanzung nehmen. Im regen Austausch zwischen Projektbearbeitenden und Besucher:innen wurden viele Ideen und Verbesserungsvorschläge diskutiert, die bei der Erstellung neuer virtuellen Umgebungen und in der weiteren Bearbeitung des Authoring-Tools berücksichtigt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die VR-Technologie als motivierendes und ergänzendes Lern- und Lehrtool in der Forstwirtschaft großes Potential aufweist und sich als digitales Weiterbildungs- und Informationstool hervorragend eignet. Und, was beim Lernen wichtig ist, der Spaß kommt dabei nicht zu kurz.
Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über seinen Projektträger FNR gefördert.
Quellen:
Neitzel, D. C. (30. Juli 2018). www.forstpraxis.de. Von https://www.forstpraxis.de/jaehrlich-65-000-neue-privatwaldeigentuemer/ abgerufen